Begegnungen zwischen Haut, Pinsel, Blick und Karte
von Elke Krasny
Mit ihrem prozesshaften Projekt „Handscapes“ arbeitet die Künstlerin Angela Andorrer als Landschaftsmalerin in fremden Händen. Sie wird zur Entdeckerin von Territorien, die es ohne ihren malenden Blick nie zu entdecken gäbe. In Handtellergröße wird der Hintergrund der Haut zum direkten Austragungsort der malenden Erforschung, des prozesshaften Experiments der auslotenden und entdeckenden Erkundung. Diese intensive Begegnung von Haut, Pinsel, Blick und Karte eröffnet eine kulturanalytische Perspektvierung auf politische und intellektuelle Konstellationen, die zwischen Landschaft und Malerei die Körper zur Erscheinung brachten.
Erinnert man sich an eine bestimmte Tradition der Landschaftsmaler, die als Auftragsarbeiter mit den großen Entdeckungsreisen in zu kolonalisierende Gefilde neuer Welten mit territorialen Expansiongelüsten aufbrachen, so ist deren Landschaft jenes Gebiet, das es für die anderen vermessend und besitzergreifend festzuhalten galt.
Erinnert man sich an die Strategien dieser Landschaftsmalerei, so geht es um eine spezifische Form der Darstellung, die zum einen integraler Bestandteil der kolonialisierenden Unterwerfungsbegegnung mit dem Fremden war und zum anderen die Projektion des eingelernten westlichen Blicks auf die entdeckten auszubeutenden Territorien.
„Seine Hand öffnete sich zum Meer„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch „Vom Reisen in fremden Händen“.
Heute sind diese gemalten Landschaften, die von Malern während der Entdeckungsfahrten gebannt wurden, nachzuschauendes Zeugnis des Machtgefälles und Eroberungsgestuses zwischen dem Hier und dem Dort. In dieser Expeditionsmalerei zeigten sich die Verquickungen von Macht und Malerei. Es ging um die ebenso kulturell wie politisch bedeutsamen Fragen der Darstellbarkeit und der in Besitz nehmenden Vermessung von Territorien.
„Die Hand wird zu Australien„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch „Vom Reisen in fremden Händen“.
In fremden Händen reisend
Andorrer spricht „Vom Reisen in fremden Händen.“ Im Moment der Begegnung begibt man sich in ihre Hand. Die Situation ist von performativer Intensität. Man legt die Hand in ihre Hand. Das ist ein Moment der Übergabe. In dieser Übergabe beginnt das Fremdwerden des Eigenen. Die eigene Hand enthält Territorien, von deren Existenz man nicht wusste. Eine Entdeckung verschiedenster Ländern entwickelt sich in der Intensität der Begegnung. Die Täler und Furchen, die Falten und Aufwölbungen, die Berge und Hügel jeder Hand verlangen nach einer anderen Landschaft.
„Berglandschaft wird zur Skulptur„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch.
Diese Landschaft entwirft die Künstlerin entlang des Weges. Sie kartografiert. Sie exploriert. Sie entwirft. Sie revidiert. „Im Laufe meiner Arbeits entwickelt sich eine Topografie verschiedenster Länder“, sagt Andorrer. Diese Länder sind Miniaturen. Sie wohnen in der eignen Hand für die Dauer der malenden Begegnung mit der performativen Landschaftsmalerin, die sich in die Hände hineinbegibt, die ihre Landschaften in diese Hände legt. Die Faszination am Malerischen und am Skulpturalen waren Aufbruchsmotivation für Angela Andorrer. Zwischen Satellitenbild und Vogeflug, zwischen topografischer Symbolik und Besiedelung, werden die Handflächen zur momenthaften Verdichtung kultureller Layer, die sich durch die eingesetzten Pinselstriche äußern.
„Papillaren als Pinselstriche. Pastosität„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch.
Die verblüffende Schönheit der entstehenden Muster, die überzeugende Abstraktion der Formen und Oberflächen vieler dieser gemalten Handlandschaften, die dann mit einem zweiten Blick, mit dem Blick der Kamera festgehalten werden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um kein unschuldiges Verfahren handelt.
In der Ambivalenz der kulturellen und politischen Eingänge und Ausgänge in die Mikromalerei auf Handflächenformat eröffnen sich die Weite der Bezüge, die Landschaft, Territorium, Macht, Eigenes und Fremdes zueinander in Beziehung bringt. Reviere werden abgesteckt, Bereiche werden vermessen. Die Variationen wären prinzipiellendlos. Jedes Abstecken ist eine ästhetische Entscheidung. Jede ästhetische Entscheidung hat kulturelle Folgen. Alle kulturellen Folgen haben politische Bedeutungen. Die Bedeutungen verlangen nach Geschichten, die sie auf ihre Identitäten zurückwerfen können. Nach der Entdeckung ist vor der Geschichte. Nach der Geschichte ist die Entdeckung ihrer Entdeckung.
Was dem Eigenen so nahe ist, war immer fremd geblieben, weil es sich nicht ausgedrückt hatte. Was dem Eigenen interpretiert wird, lässt es als anderes erscheinen. In diesem Moment der Fremdheit agiert die Intensität der Begegnung zwischen der Hand und der Malerin. Aus jeder Begegnung entsteht eine Karte. Alle Karten gemeinsam könnten einen Atlas ergeben. Der Atlas würde Welten zeigen, die nur für einen Moment bestanden haben. In ihrer Flüchtigkeit liegt ihre Stärke. Dass man sich von ihnen reinigen kann, macht die Entdeckung vorübergehend. Der Moment wird festgehalten. „Hautfurchen erzählen Geschichten“, sagt Angela Andorrer. Jede Furche ist eine Übersetzung.
„Hautfurchen werden zu Strichen. Abstrakt. Und auch ein bisschen Japan„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch.
Jede Übersetzung ist eine neue Interpretation. Jede Interpretation ist eine Frage des Eigenen und der Anderen. An dieser Schnittstelle liegt die Hand, die wir erheben, die wir ergreifen, die wir schütteln, die wir verstecken. Die Hand, die man gibt, ist auch die Hand, die die Fahne der kolonialen Herrschaft in das neue Territorium pflanzte. Die Hand, die bemalt wird, ist auch die Hand, die entdeckt wurde. Die Malerin ist die Entdeckerin. Die Entdeckerin ist die Fotografin. Die Fotografin ist Handelnde.
Die Dimensionen verhalten sich sprunghaft. Größenverhältnisse und Besitzverhältnisse verschieben sich. Distanzen und Nähen werden unklar. Aus allernächster Nähe erscheint die eigene Hand in der größten Distanz. „Was nah erscheint, entfernt sich„, schreibt Angela Andorrer.
Auf Haut gemalt
„Es war als sehe er seine Haut zum ersten Mal„, schreibt Angela Andorrer in ihrem Reisetagebuch „Vom Reisen in fremden Händen“.
Inspiriert vom französischen Informel, unter anderem von dem französischen Maler und Grafiker Jean Fautrier bricht Angela Andorrer in die Handmalerei auf. Sie setzt auf spontane, nichtgeometrische, abstrakte Malerei, auf einen Prozess, der keinen starren Regeln folgt.
Die Natur der Hand liegt auf der Hand. Beginnt man sie zu bemalen, ist dies ein Schritt in ihre Entfremdung. Die Hand wird eine andere. So hat man sie vorher nie sehen können. Sie wird gelesen im Zustand der Malerei. Das abergläubische des Handlesens, das die Zukunft entbergen soll, verbindet sich mit dem reisenden Konzept der Kartografien. Jede Linie hat ihre eigene Farbe. Jede Farbe hat ihre Bedeutung. Diese alte Bedeutungsschicht des Aberglaubens wird durch die performative Situation der Nähe, der Eins-zu-Eins-Begegnung verstärkt. Man legt die Hand in die Hand der Malerin. Was sie hervorruft, ist aus der Hand gelesen. Der Zustand ist ein vorübergehender. Die kulturellen Zuschreibungen und Bedeutungsebenen sind wiederum von höchster Ambivalenz. Andorrer spricht von der „Körperbemalung in fremden Kulturen“. Auch „Tätowierungen“ tauchen am assoziativen Bedeutungshorizont auf. „Der Körper wird zur Leinwand„, sagt Angela Andorrer. Der Zustand ist nur einer von vielen. Er geht vorüber. Die Bemalung ist ephemer. Sie ist sich ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst. Sie wird sich wieder auflösen. Die Landschaft zerrinnt unter den Händen.
„In der Berührung mit Schweiß und Wasser löst sich die Farbe auf„, sagt Angela Andorrer.
Es ginge wieder von vorne los. So viele Hände, so viele Landschaften. Eine Hand, so viele Landschaften. Eine Landschaft, so viele Hände. Ist der Umkehrschluss zu denken. Man findet eine Landschaft und projiziert sie auf eine Hand. Das liegt auf der Hand. „Ich liebe die Idee der Vergänglichkeit“, sagt Angela Andorrer.
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Elke Krasny is a curator, cultural theorist, urban researcher, and writer. She is Professor at the Academy of Fine Arts Vienna. http://www.elkekrasny.at