von Maria Christine Holter
Als Kunsthistorikerin, Mitbegründerin der Artists for Future in Österreich und Klimaaktivistin freue ich mich in Angela Andorrers „Galerie derReisenden Blätter“ einführen zu dürfen, da ich in ihren Arbeiten das ernsthafte Bestreben sehe, den Respekt vor der Natur und ihre Kunst miteinander in Einklang zu bringen.
Während Andorrers Performance „Cantus Klima“ bleibt meine Aufmerksamkeit an einem Satz hängen, der über der ganzen Ausstellung wie eine fettgedruckte Überschrift stehen könnte: „We must make friends with nature, ‚cause nature makes the climate onwhich we depend“. Wir müssen uns mit der Natur versöhnen, denn sie ist verantwortlich für unser Klima, auf das wir alle angewiesen sind – heute mehr denn je, wie wir an den katastrophalen Folgen des jahrzehntelangen achtlosen Umgangs mit der Natur und mit unseren natürlichen Ressourcentagtäglich in den Medien vorgeführt bekommen oder in heimischen Unwettererlebnissen wie Starkregen, Murenabgänge, Felsstürze, wiederkehrende Hitzeperioden, Dürren und Waldbrände ganz hautnah und zunehmend leidvoll erleben. Freundschaft mit der Natur schließen, sie wie in „Cantus Klima“ gleichsam religiös mit Prozessionen und Litaneien um Vergebung bitten, Klimaschutz nicht nur denken sondern aktiv werden. Besonders letzteres Anliegen verbindet die Kunst Andorrers mit jenen diverser Klimaallianzen, seien es nun die von Fridays for Future, wie die Artists-, die Scientists-, die Workers-, Teachers- und Parents for Future usw., oder die der im besten Sinne des Wortes noch radikaler agierenden Extinction Rebellions.
Die Künstlerin, die seit einigen Jahren in der Klosterneuburger Au in einem Stelzenhaus lebt und arbeitet, hat sich die Natur über die Jahre tatsächlich zur innigen Freundin und Vertrauten gemacht, zur Gesprächspartnerin, Trösterin, zur Inspiratorin für Ihre Kunst –und zwar in deren bisweilen recht unbeachteten, aber von der Evolution bereits vollendet gestalteten Form der Blätter. „Mit jedem Blatt möchte ich ein Staunen auf die Gesichter der Betrachter*innen zaubern, darüber, was die Natur alles kann!“, erzählt Andorrer in unserem letzten Gespräch begeistert. Damit meint sie nicht jene aus Papier, die in den grafischen Künsten als Bildträger dienen, sondern die im Herbst von den Bäumen gefallenen oder auch im Sommer vom Wind abgeknickt liegen gebliebenen. Große, kleine, unterschiedlich geartete Blätter, die wir schon in unserer Kindheit sammelten, pressten und in der Schule vielleicht zum Zweck von buntfarbigen Abdrucken auch bemalten.
Aber haben wir jene vom Insektenfraß durchlöcherten, fragmentierten auch für Wert befunden, zu konservieren oder die ganz gebliebenen, von Adern und Kapillargefäßen durchzogenen tüchtigen „CO2-Fresser“in ihrer natürlichen Perfektion gewürdigt? Haben wir die Blätter als pars pro toto, als Teil eines größeren Ganzen, als kleine baumähnliche Gebilde erkannt? Haben wir die Möglichkeit wahrgenommen, sie als künstlerische Objekte aufzufassen, als Informationsträger zu begreifen, sie zu schmücken, durch Perlen, Pailletten und bunten Fäden aufzuwerten? Und haben wir diese für Heim, Kindergarten oder Schule gesammelten Blätter wie Reliquien nach ausgeklügelten, geheimen Rezepturen chemisch konserviert in Schreinen aufbewahrt, mit uns auf Reisen und auf Pilgerschaft genommen oder schamanisch-performativ präsentiert? All dies kann Angela Andorrer als unverwechselbare künstlerische Leistung für sich verbuchen.
Seit Abschluss ihrer Studien an der Concordia University in Montreal, an der Akademie der bildenden Künste in München und im Rahmen der Sommerakademie Salzburg bei der großartigen Kiki Smith arbeitet Angela Andorrer in den Bereichen Zeichnung, Fotografie und Performance mit Fokus auf Landschaft, Kartographie und Körper. Dies liest sich heutzutage wie eine recht übliche Künstlerinnenbiografie. Es lohnt sich bei Andorrer, ein wenig näher in ihre Entwicklung ein zu tauchen und biografisch nachzufragen, damit wir den Gehalt der „Galerie der Reisenden Blätter“ mit der als Cluster inszenierten Wandinstallation sorgfältig gerahmter Originalblätter, dem Videobestehend aus 42 filmische Sequenzen mit von der linken Hand vor den Naturhintergrund gehaltenen und mit der rechten Hand abgefilmten Blattobjekten in unterschiedlichsten Landschaftsbezügen, Witterungsverhältnissen und Jahres- bzw. Tageszeiten sowie den großformatigen, frei im Raum schwebenden Plots der reisenden „Blattscapes“ nachvollziehen können.
Andorrer wuchs nahe der atlantischen Ostküste Kanadas und in ihrer späteren Kindheit in Oberbayern auf. Bei ihrer Mutter, Inhaberin eines Stoffgeschäftes, erlebte sie tagtäglich die handwerkliche Kreativität und Taktilität, bei ihrem Vater, dem Antarktisforscher und Kartografen, die wissenschaftliche Neugierde und Faszination für die Natur bzw. für die bildgebenden Verfahren, die an sich unfassbaren Naturphänomene für uns greifbarer und überschaubarer zu machen. Nun lebt und arbeite sie in der Wildnis der Klosterneuburger Au, macht dort rituell ihre Spazier- und Erkundungsgänge, bückt sich meditativ nach mal diesem, mal nachjenem Blatt und kehrt mit diesem rein intuitiv gesammelten Schatz in ihr Haus samt Atelier zurück. Wir kennen dies aus unserer eigenen Erfahrung, wie einen die Natur „herunterholt“, der Puls langsamer wird, wir in einen „Flow“ gelangen, der Kreativität erst ermöglicht – ein Prozess, der sich im günstigsten Fall dann im Atelier, in der Schreib- oder Komponierstube entlädt.
All diese genannten biografischen Anteile sind mit Sicherheit in die nach 2009, dem Geburtsjahr ihres Sohnes, entstehenden „Handscapes“ und die etwas später, nämlich 2014, einsetzenden „Blattscapes“ eingeflossen. Es lohnt sich unter der Vielzahl der ausgestellten, fotografierten oder filmisch festgehaltenen Blätter einen Blick auf die frühen Exemplare zu werfen und sie mit den späteren zu vergleichen. Sehen wir anfänglich noch recht buntfarbige ornamentale Gestaltungen mit der Ölfarbe, die wie stark farbige Tattoos die Blätter verfremden, so werden die hinzugefügten Formen und Farben später reduzierter und die Stickereien mit Faden und Schmuckakzentuierter. Sie unterstreichen die natürlichen Besonderheiten eines jeden Blattes auf einfühlsamste Weise – einfühlsame und heilsame Weise, möchte man fast sagen, denn um die Verletzungen der Blätter kümmert sich die Künstlerin besonders liebevoll: Sie schient, unterstützt, bewahrt heilend vor dem Verfall, dem unwiederbringlichen Verlust der fragilen Geschöpfe.
So freue ich mich nun mit Ihnen gemeinsam darauf, nicht nur die ausgestellten „Blattscapes“ in multimedialer Form zu erkunden, sondern sie eingebettet in der Performance „Cantus Klima“ von Angela Andorrer in Kooperation mit der Kunsthistorikerin Valerie Pauß und den Aktivist*innen der Extinction Rebellions zu erleben. Performance: Was macht die Faszination dieser heute von vielen Kunstschaffenden sogeschätzten Kunstform aus? Es ist, meines Erachtens, das atmosphärische Zusammenwirken von Akteur*innen und Publikum, die unwiederbringliche Kunst des Augenblicks, der ephemere Moment, der nur in unserer Wahrnehmung festgehalten ist und in unserer Erinnerung nachhallt. Auch wenn Performances gefilmt und auf diese Weisedokumentiert werden können, so sind wir, das heute anwesende Publikum, in einer unvergleichlich begünstigteren, beglückenderen Lage, als jenes, das in späteren Präsentationen dem heutigen Geschehen nachzuspüren sucht.
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Auszüge aus der Einführung zur Ausstellung am 10. Juni 2022 in der Kunstwerkstatt Tulln